Widerstand gegen den Nationalsozialismus

"Neu beginnen"

Die Zersplitterung der Parteien in der Weimarer Republik zeigte sich auch in ihrem Widerstand. Unter Walter Löwenheim hatte sich 1929 in Berlin eine Gruppe „Neu Beginnen“ aus SPD und KPD Mitgliedern gebildet. Löwenheim wollte beide Parteien, die ihm zu wenig revolutionär waren, wieder vereinen und entwickelte konspirative Konzepte um die faschistische Gefahr abzuwehren. Ihr Einfluss auf die Arbeiterschaft war jedoch relativ gering. Auch in Mannheim entstand eine Gruppe, die der Graphiker Carl Maria Kiesel leitete. Er kam 1929 nach Mannheim, wo ihn der sozialdemokratische Redakteur Ernst Roth an die Parteipresse vermittelte. Zur Mannheimer Gruppe von „Neu Beginnen“ gehörten u.a. der Architekt Wilhelm Pabst (Hochbauamt), der Jurist Hans Bruno Egger, Oberspielleiter Richard Dornseif vom Nationaltheater, der Schlosser Karl Wilhelm, der spätere Stadtrat Paul Schmutz, die Sekretärin Marie Guthörle, der Elektriker Heinrich Holle, der Tapezier Josef Wolfsberger und der Kaufmann Josef (Seppl) Hamburger.

Die Gruppe war klein, ging aber mit großem Ernst und ausgeklügelter Taktik an ihre Arbeit. Alle hatten Tarnnamen. Auf Werbung verzichtete man um die Mitglieder nicht zu gefährden. Schriftmaterial erhielt Kiesel durch Kuriere. Es war nach einem Bericht von Paul Schmutz so stark verkleinert, dass es hinter etwas losgelöster Tapete oder im hohlen Fuß des Bettes versteckt werden konnte. Bei zwei Hausdurchsuchungen wurde die Gestapo auf diese Weise nicht fündig. Auf der Maulbeerinsel wurden in kleinsten Gruppen Schulungskurse abgehalten, die u.a. auch durch Fritz Erler, den späteren Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, besucht wurden.

Die Berliner Zentrale von „Neu Beginnen“ gab den Mannheimern einmal den Auftrag, ein Manuskript „Diskussionsgrundlage für die Neuordnung der deutschen Sozialdemokratie“ über das Saargebiet nach Forbach zu bringen. Wilhelm hatte in seiner Schlosserwerkstatt ein Exemplar des verschlüsselten Manuskripts in die Reserveradstütze eines Autos eingebaut, das dem „Halbjuden“ Fuld-Traumann gehörte. Er war ihm von Karlsruher Freunden als sehr zuverlässig empfohlen worden. Ein Reservemanuskript blieb sicherheitshalber in Mannheim. Der Transport durch Pabst und Fuld-Traumann verlief erfolgreich, so dass man glaubte, das Reservemanuskript vernichten zu können. Die Beteiligten wussten allerdings nicht, dass Fuld-Traumann, der verspätet gekommen war und dies mit einer Panne erklärt hatte, vorher bei der Gestapo war, die das Manuskript kopierte, jedoch zunächst seine Bedeutung nicht erkennen konnte.

1934 wurden Kiesel, Pabst, Wilhelm und Egger verhaftet, als bei SAP-Mitgliedern eine Tarnbroschüre „Schopenhauer: Über die Religion“ gefunden wurde. Jetzt erinnerte sich die Gestapo an das kopierte Manuskript und fand seinen Inhalt heraus. Die Anklage lautete auf „Vorbereitung zum Hochverrat“ und führte bei Kiesel zu 15 Monaten, bei Pabst zu 12 Monaten Gefängnisstrafe. Wilhelm erhielt 6 Monate, Egger wurde mangels Beweises freigesprochen. Ihre Zugehörigkeit zur Organisation „Neu Beginnen“ blieb jedoch unentdeckt, sie wurden als SPD Mitglieder verurteilt. Dabei kam ihnen zu gute, dass eine antinationalsozialistisch eingestellte Frau, Dr. Elisabeth Neumeyer, Angestellte im Gesundheitsamt und Tochter eines Regierungsrates im Polizeipräsidium, sich bei Polizeipräsident Dr. Ramsperger dafür einsetzte, Pabst für kurze Zeit aus dem Untersuchungsgefängnis zu entlassen, da er noch wichtige geschäftliche Dinge zu erledigen habe. So konnte er seine Freunde warnen und ihnen wichtige Nachrichten übermitteln. Kiesel floh 1935 nach Frankreich, als es der Gestapo gelang, einen Teil der Organisation aufzurollen. Die regelmäßige Schulung zum Überleben unter dem Faschismus fand damit ein Ende.

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Geleitwort
Vorwort
Hohe Arbeitslosigkeit
Reichstagswahlen
Uneinigkeit der demokratischen Parteien
Verfassung außer Kraft
"Säuberungsaktion" in Mannheim
Reichsbanner
Erste antifaschistische Aktivitäten
Beispiel Jakob Baumann
Verhaftungswelle 1936/ 1937
SAP
"Neu Beginnen"
KPD
Denunziation in der Familie
Widerstand in Waldhof
Die Gruppe Gartenstadt
Die Lechleiter-Gruppe
"Druckerei" im Keller
Die Kirchen
Die Katholiken
Arbeiter- und Gesellenvereine
August Kuhn
Der Protestantismus
Dr. Karl Gérard
Zeugen Jehovas
Bekannte Widerstandsguppen
Sinti, Roma, Juden
Der 20. Juli 1944
Schlusswort
Quellen und Literaturverzeichnis