Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Zeugen Jehovas

Religiöse Glaubensgemeinschaften, wie die Bibelforscher oder Zeugen Jehovas hatten erheblich mehr als die evangelischen Christen unter dem NS-Regime zu leiden. Schon die Berufung auf eine letztinstanzliche göttliche Macht war für die nationalsozialistische Herrschaft eine provokante, unmissverständliche Herausforderung. Zunächst wurde dies aber als „religiöse Paranoia“ beurteilt.

Ihre Missionstätigkeit an den Haustüren und ihre Aktionen, bei denen mehrere tausend Flugblätter und Drucksachen im Schutz der Dunkelheit unter Fußmatten, auf Fensterbänke, in Vorgärten und Briefkästen in Mannheim abgelegt wurden, sind jedoch eine Kampfansage an die NS-Regierung gewesen.

Die Zeugen Jehovas wurden den Polizeibehörden aber nicht erst durch „auffälliges Verhalten“ bekannt. Die ersten Prozesse gegen Mannheimer Zeugen Jehovas fanden vor dem Sondergericht 1934/35 statt. In sieben Fällen wurden Haftstrafen zwischen 6 Wochen und 4 Monaten verhängt. Mannheim hatte für die illegale Organisation eine große Bedeutung als Verteilerkopf für Nordbaden und die Pfalz. 1936 gelang es der Polizei die Organisation aufzurollen. Bei 15 Männern reichten die Haftstrafen von 2 Monaten bis zu 3 Jahren, bei den angeklagten 15 Frauen lagen die Strafen zwischen 1 und 8 Monaten. In einem Falle erfolgte eine Einweisung in eine Nervenheilanstalt. Ende 1937 waren mit 48 Zeugen Jehovas etwa dreiviertel aller Mannheimer Bibelforscher einmal oder mehrmals verurteilt worden, darunter auch die Gartenstädterin Franziska Geil. In einem Zeitungsbericht über eine Verhandlung beim Sondergericht heißt es: „Wie man das von ihnen nicht anders gewohnt ist, gaben sie das Verteilen illegaler Schriften ohne Umschweife zu, um ... die Gelegenheit zu benutzen, das Gericht ... von ihrem wahren Glauben und von ihrem Wissen vom baldigen Weltuntergang zu überzeugen“.

Da der Gestapo die verhängten Strafen zu niedrig waren und die Zeugen Jehovas auch nach der Haftentlassung ihre Arbeit fortsetzten, erreichte sie, dass die Gefangenen nach ihrer Entlassung auf Anweisung der Gestapo in Konzentrationslager „verschubt“ werden konnten. Es war seitdem möglich, Bibelforscher auch ohne richterlichen Haftbefehl dorthin einzuliefern. Das wurde als „Nachhaft“ bezeichnet. 16 Mannheimer Zeugen Jehovas waren von dieser Maßnahme betroffen. Ohne Haftbefehl kam 1938 ein Mann, nur weil er im Betrieb den Hitlergruß nicht erwiderte und eine Frau, weil sie die Beteiligung an einer Haussammlung für eine nationalsozialistische Wohlfahrtsorganisation (Winterhilfe) verweigert hatte, in ein Konzentrationslager. Nach einem Todesurteil, dessen Einzelheiten nicht bekannt wurden, hat man diese Frau hingerichtet.

Von den nachgewiesenen 16 Zeugen Jehovas aus Mannheim, die in ein KZ eingewiesen wurden, wahrscheinlich waren es mehr, fanden fünf dort den Tod (Else Dornhofer, Margarete Franke, Karl E. Brod, Julius Hort und Otto Schmitt). Drei blieben bis Kriegsende im KZ. Der in eine Nervenheilanstalt eingewiesene Bibelforscher, Georg Arbogast, ist dort gestorben.

Die Vereinigung der Bibelforscher hatte 1933 etwa 20.000 Anhänger. Rund 10.000 ihrer Mitglieder waren während des Dritten Reiches in einem Gefängnis oder KZ, 5.000 fanden dabei den Tod. Keine andere Sekte hat derart unter den Nationalsozialisten gelitten wie die Zeugen Jehovas. Die Triebkraft ihres Widerstandes beruhte letztlich auf ihrer Lehre, wonach der Tag kommen werde, da in einem heiligen Krieg, Jehova, der Herrscher des seit 1914 (Gründung der Sekte) bestehenden Königreichs Gottes, alle weltliche Herrschaft vernichtet werde.

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Geleitwort
Vorwort
Hohe Arbeitslosigkeit
Reichstagswahlen
Uneinigkeit der demokratischen Parteien
Verfassung außer Kraft
"Säuberungsaktion" in Mannheim
Reichsbanner
Erste antifaschistische Aktivitäten
Beispiel Jakob Baumann
Verhaftungswelle 1936/ 1937
SAP
"Neu Beginnen"
KPD
Denunziation in der Familie
Widerstand in Waldhof
Die Gruppe Gartenstadt
Die Lechleiter-Gruppe
"Druckerei" im Keller
Die Kirchen
Die Katholiken
Arbeiter- und Gesellenvereine
August Kuhn
Der Protestantismus
Dr. Karl Gérard
Zeugen Jehovas
Bekannte Widerstandsguppen
Sinti, Roma, Juden
Der 20. Juli 1944
Schlusswort
Quellen und Literaturverzeichnis